Was ist Achtsamkeit?
Eine allgemeingültige Definition der Achtsamkeit, im Englischen „Mindfulness“ genannt, gibt es so nicht. Ich orientiere mich an der Definition des amerikanischen Molekularbiologen Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn. Er bindet Achtsamkeit als Geisteszustand in den MBSR-Kontext ein der nicht-religiös ist. Nach Kabat-Zinn besitzen wir alle die Fähigkeit, achtsam zu sein: „Um sie zu entwickeln, müssen wir uns lediglich darin üben, der Gegenwart unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, ohne zu urteilen – zumindest aber uns dessen bewusst zu werden, wie sehr unsere Wahrnehmung für gewöhnlich von Urteilen bestimmt ist.“ (Jon Kabat-Zinn (2013) „Gesund durch Meditation“, Knaur Verlag)
Viel wichtiger als die begriffliche Definition finde ich jedoch, Achtsamkeit in seiner ganzen Dimension zu erfahren und zu üben. Ich habe erlebt, dass sich für viele Erfahrungen in der Praxis der Achtsamkeit keine adäquaten Worte oder Beschreibungen finden lassen. Sie sind mehr ein Gefühl oder ein Bild. So beschreiben es immer wieder auch die Teilnehmenden meiner MBSR-Trainings.
Achtsamkeit wird als meditative Grundpraxis des Buddhismus insbesondere in der burmesischen Theravada-Tradition überliefert, gelehrt und geübt. Der Theravada Buddhismus überliefert uns ein wirkungsvolles System, um die tieferen Schichten des Geistes zu erkunden, bis hinunter zu den Wurzeln des Bewusstseins selbst, beschreibt der buddhistische Mönch Bhate Henepola Gunaratana . Er weist darauf hin, dass der Pali-Begriff Sati auch die Bedeutung von „Erinnern“ habe. Gemeint ist nicht die Erinnerung im Sinn von Ideen und Bildern aus der Vergangenheit, sondern eher ein klares, direktes, wortloses Wissen, was ist und was nicht ist. Zum besseren Verständnis zu seiner Entstehung und Bedeutung im Zusammenhang der buddhistischen Praxis empfiehlt sich die weitere Lektüre der zweieinhalbtausend Jahre alten Sattipatthana-Sutta der buddhistischen Lehren.
Drei wesentliche Pfeiler von Achtsamkeit werden durch die Meditation gestärkt:
- a) Bewusstheit: Wach und klar sein über das was geschieht, Einsicht in die momentane Erfahrung
- b) Akzeptanz: den Augenblick akzeptieren und annehmen, so wie er gerade ist und sich eigener Urteile bewusst werden. Außerdem mit Urteilen zurückhalten, um offen zu werden für die Erfahrung im Jetzt.
- c) Präsenz: die Aufmerksamkeit geistesgegenwärtig auf die Erfahrung ausrichten.
Um die Dinge so sehen zu können wie sie sind, braucht es immer wieder Bewusstheit darüber, wo unser Geist sich im Moment aufhält, womit er beschäftigt ist. Oft ist die Aufmerksamkeit des Geistes eng auf ein Objekt bezogen um das herum er Ursachenforschung betreibt, Bewertungen, Planungen, Sorgen und Geschichten auslöst. Er befindet sich dann in einem Zustand der Benommenheit.
Goleman beschreibt Achtsamkeit als ein Bewusstsein, das sich nicht von Emotionen fortreißen lässt, das auf Wahrgenommenes nicht überreagiert und es nicht noch verstärkt.
Wie können wir der Gegenwart unsere Aufmerksamkeit schenken?
Im MBSR werden zwei Meditationen in den Blick genommen: Vipassana und Samatha. Vipassana kann als „Einsicht“ übersetzt werden. Eine klare Bewusstheit davon, was im Augenblick vor sich geht, während es geschieht. In der Meditation von Samatha wird der Geist auf ein Objekt gerichtet. Der Meditierende findet dann Konzentration oder Ruhe.
Achtsamkeit ist nicht selbstbezogen. Sie muss mit Neugierde und Offenheit gepaart werden.
So beschreibt Kabat-Zinn: So intensiv und befriedigend es auch sein mag, sich in der Konzentration zu üben, bleibt das Ergebnis doch unvollständig, wenn sie nicht durch die Übung der Achtsamkeit ergänzt und vertieft wird. Für sich allein ähnelt sie einem Sich-Zurückziehen aus der Welt. Ihre charakteristische Energie ist eher verschlossen als offen, eher versunken als zugänglich, eher tranceartig als hellwach. Was diesem Zustand fehlt, ist die Energie der Neugier, des Wissensdrangs, der Offenheit, der Aufgeschlossenheit, des Engagements für das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrung.
Kabat-Zinn benennt sieben Säulen der inneren Einstellung, auf denen die Achtsamkeitsmeditation wie sie innerhalb des MBSR gelehrt wird, ruht und die trainiert werden: 1. Nicht-Urteilen. 2. Geduld. 3. den Geist des Anfängers bewahren, 4. Vertrauen, 5. Nicht-Erzwingen, 6. Akzeptanz und 7. Loslassen. Zusammen mit der Haltung des Selbstmitgefühls und der Selbstfürsorge fördern sie einen produktiven Umgang mit den eigenen Ressourcen, welche aus der Summe innerer Kräfte und äußerer Unterstützung begriffen werden können.21 Tatsächlich kann die begriffliche Definition von Achtsamkeit nicht in ihrer Vollständigkeit das beschreiben, was sie in der gelebten Praxis ist. Nach meiner Erfahrung lassen sich für viele Phänomene in der Praxis der Achtsamkeit keine adäquaten Worte oder Beschreibungen finden. Sie sind mehr ein Gefühl oder ein Bild. Kabat-Zinn sagt dazu: Achtsamkeit ist nicht bloß ein begriffliches Konzept oder eine gute Idee. Sie ist eine Form zu sein. Sie ist der einzige Zeitraum, in dem wir wirkliche Erfahrungen machen, in dem wir wahrnehmen, lernen, lieben, handeln, uns wandeln und Heilung erfahren können, so der Erfinder des MBSR.
Achtsamkeit ist auch Selbstmitgefühl und Mitgefühl
Es geht beim MBSR und der Achtsamkeit jedoch nicht nur um geistige Qualitäten. Es geht auch um die Dimension von Emotionen, Selbstmitgefühl und Mitgefühl im Sinne einer freundlichen, annehmenden Zuwendung zu sich selbst und anderen. Denn es ist schwierig, in Verbindung, freundlich und empathisch mit anderen umzugehen, während man sich fortwährend selbst verurteilt.
Selbstmitgefühl ist eine Haltung, die im Training der Achtsamkeit geübt wird. Beispielsweise in der Meditation. Hier sind wir angehalten, immer wieder freundlich, sanft, geduldig und ohne zu urteilen die Aufmerksamkeit zum Objekt der Aufmerksamkeit, beispielsweise den Atem, zurückzuholen, wenn wir in Gedanken abschweifen.
Jeder ist achtsam
Im Prinzip ist Achtsamkeit sehr einfach. Jeder Mensch macht die Erfahrung von achtsamen Momenten. Die Herausforderung besteht in der Vertiefung, der Aufrechterhaltung der Achtsamkeit, damit sie sich als Qualität manifestieren kann, die uns immer wieder auch außerhalb bewusster Meditationspraxis widerfährt. Eine Qualität, die uns besonders auch in Krisenzeiten gegenwärtig und gelassen sein lässt und uns befähigt, auch auf schwierige Momente mit liebevollem Gewahrsein zu schauen, ohne uns von einem Strudel unangenehmer Gefühle fortreißen zu lassen. Die Praxis der formalen Meditation in Kombination auch mit der informellen Meditation wie das achtsame Essen, das achtsame Treppensteigen usw. erweisen sich hier als gute Methode, Achtsamkeit zu kultivieren. Kabat-Zinn sagt dazu: Wir können sie uns auch als einen Muskel denken. Der Achtsamkeits-Muskel wird durch Gebrauch sowohl kräftiger als auch geschmeidiger und beweglicher.
Meine Kurse, Trainings und Coachings für Achtsamkeit (MBSR) in Potsdam und Berlin
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